Ein Wartburg 311
 
(MH)., Betrachtet man alte Fotographien, so kann man anhand einiger Merkmale leicht die Zeit abschätzen, aus der sie stammen. Eines dieser Merkmale sind die Automobile, die eher ungewollt mit abgelichtet wurden. Auf Abbildungen oder in Spielfilmen aus den 60er und 70er Jahren der DDR fällt neben dem obligatorischen Trabant immer wieder ein Wagen auf, der aus dem heutigen Straßenbild fast vollständig verschwunden ist - der alte Wartburg 311.
1954 wurde der erste Wagen auf den Namen "Wartburg" getauft. Schon nach wenigen Jahren war es kaum mehr die durch Luther so berühmte Burg, sondern vielmehr ein Wagen der gehobenen Mittelklasse, der mit diesem Namen in Verbindung gebracht wurde. Noch bevor die Schulkinder etwas von der Wartburg hörten, wußten sie diesen Begriff eher auf Vaters gut gepflegten Garagenwagen anzuwenden.
1956 begann die Serienfertigung des Wartburg 311. Ausgangsbasis für das bewunderte Exklusivmodell des sozialistischen Wohlstandes der späten Nachkriegszeit war das DKW-Modell F9, das in Zwickau und später als IFA-F9 in Eisenach gefertigt wurde. Bewährte Technik, wie der Frontantrieb und der wassergekühlte 3-Zylinder-Zweitakt-Motor, wurden von DKW übernommen. Neuentwicklungen sind die Karosserie und die Lenkhebelschaltung. Letztere ist trotz des immer stärker werdenden Knüppelschaltungs- Trends im Standardmodell 353 bis 1988 anzutreffen.
Der Typ 311 war während seiner Serienproduktion (1956 bis 65) mit vielen Detailverbesserungen stets ein zeitgemäßes Fahrzeug, das sich auch großer Beliebtheit im Ausland erfreute.
Exportiert wurde in viele europäische Länder, so auch nach Großbritannien und Finnland.
In der DDR war der Wartburg anfangs fast ohne Wartezeiten zu haben, weil der Preis von etwa 15.000 DM für die Standardlimousine für viele ein unüberwindliches Hindernis darstellte.
Bis 1961 konnte man mit seinem Wartburg theoretisch die ganze Welt erkunden. Viele dieser Karossen erlebten sowohl den Bau als auch den Fall der Berliner Mauer bzw. des "Eisernen Vorhanges". Ihren letzten großen Auftritt hatten die Wartburgs erst 1989/90, als sie zu Tausenden die Alpen erklommen und mit glühenden Trommelbremsen in Italien vorfuhren. Viele unserer "West-Verwandten" staunten nicht schlecht über den sich so völlig aus dem aktuellen Straßenbild abhebenden Wagen. Dann allerdings war er sehr schnell von der Straße verschwunden. Modelle, die aufgrund des Mangels immer wieder mit viel Improvisation fahrfähig gehalten wurden, verschwanden zu Zigtausenden in der Schrottpresse. Aber auch noch sehr gut erhaltene Fahrzeuge waren plötzlich nichts mehr wert und mußten den neuen Wagen aus der westlichen Produktion die Garage überlassen. Viele dieser ehemaligen Besitzer ergreift heute die Wehmut, wenn sie doch noch einen dieser gut gepflegten Oldtimer sehen. Welche Erinnerungen können in einem 40 Jahre alten Auto stecken!
Heute werden gut erhaltene Modelle der Limousine mit 2000 bis 3000 DM gehandelt - Tendenz steigend.
Allerdings ist besonderes Augenmerk auf die Originalität und Detailtreue zu richten, da viele 311er aufgrund des Ersatzteilemangels mit 312er und 353er Technik nachgerüstet wurden.
Unbedingt zu erwähnen ist noch die Vielfalt der Ausführungen in denen der Wartburg 311 zu haben war. Man muß mit rund 40 (!) Varianten rechnen. Die bekanntesten hiervon sind: Standard- und Luxuslimousine, Faltdach-Limousine, Camping-Limousine, Kombiwagen, Coupé, Pick-up, Kübelwagen, Cabriolett und der Sportwagen vom Typ 313.
Ein Wartburg 311
 
In der Ausstattung mit Luxus brauchte der Wartburg den Vergleich mit keinem westlichen Mittelklasse-Wagen zu scheuen. So erreichen heute einige dieser Exklusiv-Modelle (313, Cabriolett) Preise, die denen von Mittelklasse-Neuwagen gleichkommen.
Von 1956 bis 1965 wurden etwa 300.000 Wartburgs vom Typ 311 gebaut.
Ab 1962 wurde er mit einem 1000-ccm-Motor, anstatt der bis dahin eingebauten 900-ccm-Maschine angeboten.
1965/66 (nur acht Monate) lief das Modell 312 vom Band, das äußerlich vom Typ 311 kaum zu unterscheiden ist. Allerdings gleicht die Technik eher dem Typ 353, der von 1966 bis 1988 mit mehreren Verbesserungen gebaut wurde.
1966 war der "neue Wartburg" 353 einer der ersten in Großserie gebauten Kompaktwagen und mit seinem 1000-ccm-45-PS- (wenig später 50-PS-) Zweitakt-Motor durchaus zeitgemäß. Doch mit der Verbesserung der Technik wurden gleichzeitig Abstriche bei der Vielfalt und dem Luxus gemacht. Aus diesem Grunde wurde im Wartburg 353 immer eher das Nutzfahrzeug als das Liebhabermodell gesehen. Beachtlich ist auch heute noch der ungewöhnlich große Kofferraum.
1988 wurde der Zweitakt-Motor durch einen 1300-ccm-Viertakter abgelöst. Man erhoffte sich durch diese Maßnahme vor allem eine deutliche Benzineinsparung. Allerdings wurde somit endgültig mit der DKW-Tradition gebrochen.
Vom F1 bis zum Wartburg 1.3 blieb nur der Frontantrieb erhalten.
Es sollte nicht unerwähnt bleiben, daß Wartburg und Trabant enge Verwandte sind, obwohl ihr Erscheinungsbild sehr unterschiedlich anmutet. Während der Wartburg 311 der direkte Nachfolger des DKW-F9 ist, wurde der Trabant 500 über das Modell P 70 vom DKW bzw. IFA-F8 abgeleitet.
Trotz einiger systembedingt verpaßten Entwicklungschancen blieb der Wartburg bis zu seinem Ende im August 1991 ein zweckmäßiger und treuer Begleiter von hohem Gebrauchswert. Allen gegenläufigen Aussagen zum Trotz erscheinen die Typen 353 und 1.3 noch recht häufig im ostdeutschen Straßenbild.
Der Wartburg wird nie eine solche Berühmtheit wie der an Stückzahl weit überlegene Trabant erreichen, obwohl sein Erscheinungsbild und seine Technik ebenso kurios anmuten. Aber in Kennerkreisen weiß man das starke Blech und die konservative und schwere Rahmenbauweise zu schätzen.
Wer heute mit seinem gut gepflegten und gehegten, chromblitzenden Wartburg 311 im Straßenbild auftaucht, zieht mit Sicherheit die Aufmerksamkeit auf sich. So wie der Wartburg früher nur einem kleinen Teil von Nutzern zugänglich war, ist er es heute einem kleinen Teil von Oldtimerfreunden. Aber überleben wird er allemal, der gute alte Wartburg, den Großvater immer nur bei Sonnenschein aus der Garage holte.
 
MotorStraße 4
 
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